MUSE(H)NSUCHT
bilder aus dem neuen museum
Sabine Carbon - Fotografie
30. Oktober – 21. November 2009
opening 30. Oktober 2009, 19.00 Uhr
Was passiert in der Zwischenzeit? Wenn der Museumsbau
fertig, aber noch kein Museum ist, wenn Helios und Nofretete noch auf
ihren Auftritt warten müssen? Wenn mehr Verpackungsmaterialien herumliegen als
Kunst herumsteht? Wie verhält sich dann das Gebäude zur Kunst, zu Baugerüsten und umgekehrt?
Dieser Frage geht Sabine Carbon in ihren Fotografien nach. Von Mai bis Oktober 2009 hat sie das Neue Museum vom Leerstand bis zum Einzug der Sammlungen immer wieder fotografiert.
Sabine Carbon: Ägyptischer Hof I 2009
David Chipperfields Sanierung des Neuen Museums bediente nicht - obwohl es oft so verstanden wurde –
das durch die Moderne transportierte Klischee des „Wunde zeigens“. Die restaurierte Ruine definiert sich
nicht ex negativo, sondern führt die Stülersche Architekturidee einer
fortschreitenden Geschichtlichkeit selbstbewusst, Krieg und Zerstörung nicht
auslassend, in die Gegenwart weiter. In welchen Dialog also treten Exponate und
Architektur? Wann beginnt dieser Dialog? Sehnen sich die leeren Räume bereits
nach der Kunst? Wie verändern sich
die Museumsstücke mit ihrem neuen Kontext, ästhetisch und inhaltlich? Was
bedeutet es, einen Raum zu ´bespielen´, der das geistige Bild Roms, Athens,
Ägyptens bereits mitbringt? Welchen Einfluss haben Granatenlöcher auf römische
Götter?
Im Verlauf der Arbeit wurde klar, dass ein Bau wie das Stüler-Chipperfieldsche Neue Museum samt der grandiosen Sammlungen viel vertragen kann. Nicht einmal Verpackungsmaterialien, Leitern, Werkzeuge, Plastikflaschen stören, da das Gebäude die ganze Vielfalt von Werdens- und Verfallsprozessen bereits in sich birgt. Resultat ist eine Schönheit, die den Makel bewusst in Kauf nimmt – ja sogar an ihm wächst.
Eröffnungsrede der Kunsthistorikerin Dr. Sabine
Ziegenrücker:
Sabine Carbon, studierte Archäologin und Journalistin, hat 2008 David Chipperfield, den Architekten des Neuen Museums Berlin, längere Zeit mir der
Kamera begleitet. Dabei entstand eine knapp einstündige, sehr stimmungsvolle
Fernsehdokumentation über den Architekten und Menschen.
In ihrer Bilderfolge "Muse(h)nsucht" zeigt Carbon nun Eindrücke aus
einer Zwischenzeit, in der das Gebäude des Neuen Museums mit Exponaten
eingerichtet wird. Geschäftiges Treiben herrscht hier fern der Öffentlichkeit. Ein voyeuristischer Blick durch das Schlüsslelloch wird auf einen normalerweise
verborgenen Alltag geworfen. Die Fotografin folgt der Neugier, dem Verlangen,
einen Blick hinter die Kulissn zu erhaschen, auf die verborgenen Geheimnisser,
die üblicherweise nur Insidern zugänglich sind.
Was ist wohl so reizvoll an diesem Blick auf das Unfertige, auf den Entstehungsprozess? Allenthalben ist das Interesse groß, denkt man an die
zahllosen Baustellenbesichtigungen, das jahrelange Treiben um den Abriss des
Palastes der Republik, aber auch vor allem an das Neue Museum selbst.
Monatelang wurde diese Baustelle zelebriert, auf allen Kanälen unserer medialen
Welt begangen - anfangs noch verhaltener, dann allgemein euphorisch.
Sabine Carbon zeigt in diesem Treiben einen unwiederbringlichen Moment: die
Inaugurierung, die einrichtung des Stüler-Chipperfieldschen Baus, als Ikone
schon vor seiner Ferstigstellung gefeiert, in Bildern jeder Zeitlichkeit
enthoben. In Carbons bildern nun richtet sich der Blick ganz auf den Moment,
auf das hier und Heute. Das Haus zeigt sich völlig unverstellt in seinem
Alltag. Indem die bilder jeglicher Auratisierung entgegenwirken, ermöglichen
sie eine unmittelbare auseinandersetzung mit dem Bau und seiner Funktion. Damit
gibt die Fotografin wieder Platz für die eigene Sicht, bfreit von medialer
Überhöhung und Interpretation.
Paradigmatisch erscheint in diesem Zusammenhang der Blick die Zentraltreppe
hinab. Er führt nicht wie üblich hinauf zum Erhabenen, Geistigen, Schönen,
sondern nach unten. n ihrem Ende wird die Treppe flankiert von einer
Reinigungskraft und einem Wachmann. die Niederungen des alltags sind
allenthalben präsent.
Die Fotografin zeigt eine ganz andere Seite dieses vielschichtigen Baus. Die
Opulenz des 19. Jahrhunderts wird vor Augen geführt, als klassische Bildung
noch ein integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Selbstverständnisses
war. Chipperfield schafft es, hier anzuschließen und das ist es wohl auch, was
die Archäologin Carbon interessiert. Der Umgang, das Leben mit den Objekten
spiegelt den Blick der Fachfrau, der Eingeweihten. Es ist diese Form der
liebevollen Vertrautheit im Umgang mit den dingen, die aus den Bildern spricht,
was uns zugleich den Zugang erleichtert: eine Nischenfigur steht noch etwas
ungelenk im Raum, die Philosophenköpfe wirken verloren im leergefegten
Niobidensaal, aus dem ein grünes Notausgangsschild leuchtet, die Säulen sind
angeschnitten und folglich in ihrem Pathos gestutzt, der blick vielfach auf
weite Fußbodenflächen gerichtet.
Sabine Carbon hat einen Blick, der den Betrachter an der Szenerie teilhaben
lässt, ohne ihn in seiner Eigenständigkeit zu beeinträchtigen. Es werden eben
keine Ikonen abgebildet, was befreiend wirkt nach den Monaten der medialen
Einstimmung auf das Großereignis ´Neues Museum´.
Gleichzeitig richtet die Fotografin den Blick auf den Schmutz, den Makel, das
Groteske, der aber nicht entstellend wirkt. die Diven der Archäologie geben
sich hier ganz ungeschminkt vor dem großen auftritt: die Karyatiden werden
Absperrhütchen flankiert, just vor dem Sockel, auf dem Nofretete Platz nehmen
wird. Zudem wird die sicht auf diesen zentralen Raum noch verstellt von einer
riesigen Leiter. Doch werden diese technischen Hilfsmittel mühelos von der
Würde des Ortes, des Portals mit den Karyatiden, überstrahlt. Sie stehen im
wörtlichen ebenso wie im übertragenen Sinn darüber.
Und trotz des humorvollen Augenzwinkerns, das Carbon durchaus hat, wenn sie ihr Personal in Form von Absperrhütchen, Leitern oder Gerüstbauten ins rechte Licht rückt, so zeugt ihr Blick doch von großem Respekt gegenüber dem Bau und seinen Protagonisten. Sie dokumentiert mit bewusst subjektiven Mitteln und leistet dabei auch noch man hintersinnigen Kommentar: so hat sie die Fotos der beiden Wandmalereien auf Leinwand drucken lassen – ein in der zeitgenössischen Fotografie eher beargwöhntes Reproduktionsverfahren, da es vorgibt mehr zu sein – eben ein klassisches werthaltiges Ölgemälde – als es ist – nämlich eine recht einfache Reproduktion. Diesen negativen Beigeschmack nutzt Carbon bewusst, um auf die Glaubwürdigkeit der Antikenrezeption im 19. Jahrhundert zu verweisen. War es doch ein Anliegen, mit der Wandmalerei ein möglichst originalgetreues bild von den Ausgrabungsstätten für den Betrachter in Berlin herbeizuzaubern. Da die Reiseberichte und vor allem die erst ganz neue Technologie der Fotografie noch nicht so weit fortgeschritten waren, musste es für den Betrachter auch um die Dokumentation der Ausgrabungsstätten gehen und keineswegs allein um ein Stimmungsbild. Carbon nutzt als Dokumentarfotografin diese Brechung im Hinblick auf den Bildgegenstand – die Wandmalerei -, aber übt sich auch durchaus in Selbstironie und reflektiert damit ihre eigene Form der subjektiven Dokumentation.
Diese ironische Selbstbeschränkung kommt auch in anderen Punkten zum Ausdruck, wenn zentral angelegte Blickachsen bewusst im Bild leicht verschoben sind, grüne Notausgangsschilder vorwitzig leuchten, die Skulptur ebenso wie der Staubsauger bildlich verarbeitet werden.
So schafft Carbon es mit ihren Bildern, die Schönheit des Ortes kraft der zufälligen Inszenierung hervorzuzaubern. Es geht ihr dabei um die Aufnahme eines historischen Moments ganz im Bewusstsein der eigenen Gebundenheit an den Lauf der Geschichte.
Unter Chipperfields Hand entstand mit den mitteln der Collage aus intaktem Klassizismus, Ruine und Moderne ein neues Gesamtkunstwerk. In diesem Geist, dem des Gesamtkunstwerks, war auch schon Stülers Bau 1843 errichtet worden, so dass die Stülersche Idee einer fortschreitenden Geschichtlichkeit mit dem heutigen Museum weitergeschrieben wird. Die zeitgenössische Zutat ist das Collagenartige, das mit dem Zufall eng gepaart ist. Dies ist es, das Carbon mit ihren Bildern einfängt und sich so dem Geist des Neuen Museums auf besondere Weise nähert. Es ist dieser Zauber, der auch die Chipperfieldsche Architektur so bestechend schön erscheinen lässt: aus Kennerschaft und Respekt vor der Geschichte entstanden, im täglichen Umgang mit ihr geschult und so das bildungsideal, das Stülers Bau so sehr verkörpert, in sich tragend, weitertragend.
Xantener Knabe, Sabine Carbon 2009
Promenade, Sabine Carbon 2009
Niobidensaal II, Sabine Carbon 2009
Aufbau, Sabine Carbon 2009
Helios II, Sabine Carbon 2009
Grüner Kopf, Sabine Carbon 2009
Anubis, Sabine Carbon 2009
Enigma, Sabine Carbon 2009
Ausblick, Sabine Carbon 2009